Vom Natureis & Bierkeller zur Kälteanlage


Eisgalgen

Bierkeller und Eisgalgen


Um das in den letzten Wintermonaten gebraute Sommerbier (siehe auch Sommer- und Winterbiere) nämlich unbeschadet über die warmen Sommermonate bringen zu können, benötigten die Brauereien geeignete, kühle Lagerstätten mit hinreichendem Fassungsvermögen. Die Brauereien selbst hatten solche Lagermöglichkeiten nicht. So begann man vor allem in Süddeutschland schon im 16. Jahrhundert mit der Auslagerung des für den Verbrauch in den warmen Sommermonaten bestimmten “Sommerbieres” in Stollen, Höhlen oder tiefe Felsenkeller, die “Sommerbierkeller”.

Anfang des 19. Jahrhunderts fing man an, diese Lagerstätten zusätzlich mit Natureis zu kühlen. Zur Winterzeit, wenn klirrender Frost die Oberfläche der Seen und Teiche gefrieren ließ, zog man also, ausgerüstet mit Hacken und Sägen, aus, um aus der dicken Eisdecke schwere Blöcke zu schneiden. Mit Pferdefuhrwerken wurden diese Eisblöcke in die Bierkeller geschafft, die sie bis weit in den Sommer hinein gleichmäßig kühl hielten.

Wo es keine stehenden Gewässer gab, behalf man sich mit sog. “Eisgalgen“: Ein hölzernes Gerüst wurde über den Kellern errichtet und an sehr kalten Tagen mit Wasser besprengt, so dass sich lange, schwere Eiszapfen bildeten. Diese wurden abgeschlagen, “geerntet”, wie man früher sagte, und durch kleine Öffnungen in die darunter liegenden Keller geschafft. Dieser Vorgang wurde so oft wiederholt, bis sich in den Kellern ausreichend Eis gesammelt hatte. Die Deckenöffnung wurde danach wieder verschlossen, um die Kühle möglichst lange im Keller zuhalten. Der Eisbedarf des Brau-, aber auch des Gastgewerbes war so groß, dass man sogar aus ferneren Alpenregionen oder Nordeuropa Natureis bezog.

Erst die Erfindung der Ammoniak-Kältemaschine durch Carl von Linde machte diese mühevolle und teure Prozedur überflüssig. Im Jahr 1872 kam der damalige Generaldirektor der Dreherschen Brauerei in Wien nach München. Er wollte den jungen Professor der Maschinenlehre am neugeschaffenen Polytechnikum, Carl von Linde, fragen, ob dieser bereit sei, eine Kältemaschine nach seinen bereits entwickelten Plänen für die Drehersche Betriebsstätte in Triest zu bauen. Linde willigte unter der Bedingung ein, zunächst in München eine Versuchsmaschine aufstellen und erproben zu dürfen. Diese Maschine wurde unter Gabriel Sedlmayr dem jüngeren in der Münchner Brauerei zum Spaten aufgestellt. Sie trat von hieraus ihren unaufhaltsamen Siegeszug an. Am 9. August 1877 wurde durch das kaiserliche Patentamt in Berlin das Patent für die Kälteerzeugungsmaschine erteilt.

Mit dem Einsatz der Linde´schen Kältemaschine im Braugewerbe waren die Voraussetzungen für eine Umwälzung des Brauwesens geschaffen – auch für den Siegeszug der hellen untergärigen Biere, der in den 90-er Jahren des 19. Jahrhunderts in München seinen Anfang nahm.

Der Einsatz der Kältemaschine erlaubte nun ganzjährig die Produktion untergärigen Bieres. Dies allerdings war in Bayern ursprünglich dunkel. Mit gewissem Argwohn blickte man aus den bayerischen Biermetropolen ins nicht ferne Pilsen, von wo aus sich seit Mitte des 19. Jhd. ein helles, allerdings recht hopfenbetontes Bier anschickte, den Biermarkt auf den Kopf zu stellen: Das Pilsener, das sich – erfunden von einem bayerischen Braumeister im Jahr 1842 ‑ rasch wachsender Beliebtheit erfreute.

Wie sollte man in Bayern auf diese Entwicklung reagieren? Tatenlos zusehen, wie ein wachsender Konsumentenkreis sich vom hergebrachten dunklen Bier ab‑, damit aber außerbayerischen Biere zuwendet oder selbst in entsprechendes Erzeugnis auf den Markt bringen?

Am 20. Juni 1895 werden die Münchner in ihrer Lokalpresse erstmalig auf eine neue Biersorte aufmerksam gemacht: Gabriel Sedlmayr, Brauerei zum Spaten, empfiehlt zur geneigten Abnahme ihr Helles Lagerbier nach Art des Pilsener Bieres gebraut und für dieses in jeder Hinsicht Ersatz bietend. Die Abgabe desselben beginnt am 20. ds. Monats.

Das neue Bier wird begeistert aufgenommen, seine Produktion findet rasch Nachahmer unter den umliegenden Brauereien. Doch nicht nur auf Begeisterung stieß das neue Produkt. Ein Wettbewerber merkte bei einer Brauerzusammenkunft Ende 1895 an: “Ich bin der Ansicht, dass das Münchner Bierrenommee durch das Brauen eines hellen Bieres sehr geschädigt wurde und dass man damit eine sehr unnütze Reklame für das Pilsener Bier macht”. Doch dem sich wandelnden Geschmack wollte und konnte man sich wohl auch nicht dauerhaft widersetzen.

Mit und mit eroberte das helle bayerische Lagerbier so die für Jahrzehnte unangefochtene Vorherrschaft unter den bayerischen Biersorten, die es erst Mitte der 90-er Jahre des vorigen Jahrhunderts an eine andere bayerische Traditionssorte abgeben musste: an das Weißbier.

Bierkeller & Biergarten

Parallel zum Siegeszug der Linde´schen Kälteanlage wurden natürlich die Sommerbierkeller ihrer ursprünglichen Funktion mit und mit beraubt. Doch schon damals waren die Keller nicht mehr bloße Lagerstätte. Längst hatten sie sich zu beliebten Ausflugszielen entwickelt.

Denn um zu verhindern, dass das Erdreich über den Bierkellern sich unter der Sommersonne zu stark erwärmte und das mühevoll in die Keller geschaffte Eis zu rasch schmolz, hatte man großblättrige Laubbäume darüber gepflanzt, bevorzugt Linden oder Kastanien. So entstanden oft in Ortsrandlage große schattige Gärten, die sich als sonntägliches Ausflugsziel großer Beliebtheit erfreuten, zumal die Brauereien hier ihr frisches, kühles Lagerbier ausschenkten.

Der Biergarten, bis heute Symbol bayerischer Bierkultur, war geboren. An seine Ursprünge wird man vor allem in Franken erinnert, wo man auch heute noch nicht “in einen Biergarten”, sondern “auf einen Bierkeller” geht.

Die florierenden Sommerkeller riefen nun die Wirte auf den Plan, denen im Kellerbetrieb unliebsame Konkurrenz erwuchs, zumal die geschäftstüchtigen Brauer es auf ihren Kellern nicht beim Bierausschank beließen, sondern mehr und mehr auch dazu übergingen, ihren Gästen stärkende Speisen anzubieten.

So verlangten die Wirte von der Obrigkeit, dem Treiben auf den Kellern Einhalt zu gebieten – vergebens, denn auch mit den einflussreichen Brauern wollte man es sich nicht ohne Not verderben.

So ersann man schließlich einen Kompromiss: Den Brauern wurde weiterhin gestattet, an ihren Lagerkellern Bier auszuschenken, Speisen jedoch durften sie nicht (mehr) anbieten. Dieses Privileg blieb den Wirten vorbehalten.

Den Sommerkellerbesuchern wurde jedoch gestattet, ihre Brotzeit selbst mitbringen – ein Recht, das bis heute jeden echten bayerischen Biergarten und fränkischen Bierkeller auszeichnet.